Energiebilanz – Was passiert wirklich im Kaloriendefizit?
Eigentlich ganz einfach!? Eine negative Energiebilanz führt bei ausreichend Nachhaltigkeit zur Gewichtsabnahme. Trotz der vermeintlichen Einfachheit der Energiebilanz, die oftmals lapidar in den sozialen Medien vorgehalten wird, ist die Zahl derer die entweder erfolglos abnehmen wollen oder nach der Diät schnell wieder an Gewicht zunehmen hoch. Woran liegt das? Sicher mit Schuld sind mangelndes Durchhaltevermögen bei Ernährungsgewohnheiten und regelmäßiger Bewegung (2,3). Des Weiteren diskutiert werden kompensatorische metabolische Veränderungen, die im Zuge eines Kaloriendefizits eine Gewichtsabnahme hemmen bzw. eine Gewichtszunahme fördern (4,5). Was genau im Körper unter defizitären Bedingungen stattfindet, ist nicht nur komplex und oftmals schwer zu quantifizieren, sondern unterliegt auch einer gewissen Individualität. Es bedarf eines genauen Einblicks in Anpassungen auf unterschiedlichen Ebenen, um die Zusammenhänge zu verstehen und um gezielte, individuelle Maßnahmen einzuleiten, die erfolgreichen und dauerhaften Gewichtsverlust ermöglichen.
Energiebilanz – ein dynamisch regulatorisches System
Häufig liest man diese sehr einfach gehaltene These: „Ein Defizit von 500 Kalorien pro Tag entspricht einer Abnahme von 0,5 Kilo Fett pro Woche“. Diese basiert auf der Annahme, dass der Energiewert von 1g Fett mit 9 Kalorien beziffert wird und die Adipozyten aus 85-90% Triglyceriden bestehen. Die Annahme schließt mit ein, dass das verlorene Körpergewicht zu 100% aus Depotfett besteht. Inzwischen gilt dieser Ansatz nur noch als grobe Orientierung, da er viele Faktoren nicht berücksichtigt und aus diesem Grund schwer in die Praxis übertragbar scheint.
Biologische, ernährungsphysiologische sowie psychologische Größen, aber auch Determinanten, die sich auf das Verhalten beziehen, beeinflussen das Verhältnis von Energieaufnahme und Energieverbrauch und damit die Energiebilanz (17) sowie weitere Systeme im menschlichen Organismus, die bestrebt sind, die Energiehomöostase aufrecht zu erhalten.
Ein linearer Zusammenhang zwischen vorgeschriebenem Energiedefizit und tatsächlichem Gewichts- (Körperfett) Verlust existiert NICHT. Die Energiebilanz ist vielmehr als dynamischer Prozess anzusehen
Zunehmen fällt uns leichter als abnehmen
Hinter Gewichtsabnahme und Gewichtszunahme verstecken sich im menschlichen Organismus asymmetrische Mechanismen. Vereinfacht ausgedrückt lässt unser Körper eher eine Gewichtszunahme zu, als eine Abnahme von Körpergewicht (54). Dies stellt eine mögliche Begründung für die Tatsache dar, dass Menschen generell einfacher zunehmen als abnehmen (55). Was hierzu nach wie vor fehlt, sind Untersuchungen mit kontrollierter Nahrungsaufnahme im hypo- und hyperkalorischen Bereich um genauere Aussagen treffen zu können. Hinzu kommt die bereits angesprochene Individualität, die selbst in Hinblick auf kompensatorische Maßnahmen bei Überfütterung festgestellt werden (56).
Energieaufnahme vs. Energieverbrauch – Das ist die Energiebilanz!
Der Gesamtenergieverbrauch setzt sich zusammen aus diesen Größen:
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100% Gesamtenergieverbrauch (TDEE – total daily energy expenditure)
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60% Grundumsatz (BMR – basal metabolic rate – Erhalt von Körpertemperatur und Organfunktion)
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20% NEAT (non-exercise activity thermogenesis – verbrauchte Kalorien im Rahmen alltäglicher Bewegungen)
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10% TEF (thermic effect of food – thermischer Effekt ausgelöst durch die Nahrungsaufnahme)
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10% EAT (exercise activity thermogenesis – Kalorien aus verstärkt körperlicher Aktivität wie Krafttraining
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Der Grundumsatz
Die Prozentangabe des Grundumsatzes schwankt und ist von Person zu Person unterschiedlich. Auch Alter und Geschlecht spielen hier eine Rolle (43). Nicht selten wird der Grundumsatz auch mit 70% des Gesamtkalorienverbrauchs angegeben (22,23). Welche Einrichtungen welchen energetischen Anteil am Grundumsatz vereinnahmen, wird hier ersichtlich
In Anbetracht des hohen Gesamtanteils von 65 bis 85% im Körper, stellt die wohl wichtigste Größe in Zusammenhang mit dem Grundumsatz unabhängig der kalorischen Situation der Anteil fettfreier Masse dar (18,19). Anders als oftmals fälschlicherweise behauptet, handelt es sich dabei nicht um reine Muskelmasse, sondern auch um Organe, Knochen, Wasser, Sehnen, Bänder, Blut, Nervengewebe und Co. Letztlich meint man die Gesamtkörpermasse abzüglich enthaltenen Körperfetts. Adaptionen im Rahmen hypokalorischer Diäten oder bei sinkendem Körperfettgehalt betreffen in erster Linie den Verlust aktiven Gewebes (7,9,18,19,24). Untersuchungen belegen einen Zusammenhang zwischen abfallendem Grundumsatz und einer größeren Chance nach erfolgter Reduktionsmaßnahme wieder an Gewicht zuzunehmen (20,21).
Eine gute Abnehm-Strategie sollte sich immer um einen größtmöglichen Erhalt fettfreier Masse bemühen
Bedeutet mehr Magermasse größeren Hunger?
Ältere Studien befassten sich in der Vergangenheit mit dem Einfluss von magerem Gewebe auf den Energieaufwand und folglich das Hungerempfinden. Sie zeigen, dass fettfreie Masse, aber nicht Fettmasse, mit einer erhöhten Energieaufnahme in Verbindung steht und dass fettfreie Masse eine potenzielle Rolle bei der Appetitkontrolle spielt (32,38). In der Theorie erscheint dies insofern sinnvoll, da beispielsweise fettfreie, stoffwechselaktive Muskelmasse den Ruheumsatz anhebt und folglich einen energetischen Mehrverbrauch erzeugt, den es zu kompensieren gilt (29). Neuere Untersuchungen bestätigen diese Thesen und sprechen ebenfalls von einer Verbindung zwischen fettfreier Masse und Energieaufnahme. Speziell bei einer isokalorischen Versorgung (nahe bedarfsgerecht bis bedarfsgerecht) lässt sich mehr fettfreie Masse mit einer größeren Nahrungsaufnahme assoziieren (30,31,33-35, 39, 40).
Interessanterweise deutet es sich an, dass der Organismus die Menge an verlorener fettfreier Masse im Rahmen einer Reduktionsmaßnahme wiederherstellen möchte und solange „schlecht“ mit Appetit- und Sättigung umgeht, bis das Aufkommen an fettfreier Masse wieder den Ausgangszustand erreicht hat. Nicht selten kommt es durch all die Maßnahmen die der Körper uns in einer solchen Phase entgegenbringt zu „Overeating“. Über seinen Bedarf zu essen, sorgt jedoch in erster Linie nicht für einen Wiederaufbau fettfreier Masse, sondern von Fettmasse (26).
Wenngleich hier das letzte Wort noch nicht gesprochen ist und obwohl es sicher individuell größere Unterschiede in der Reaktion des Körpers auf eine negative Energiebilanz gibt, scheint dem Erhalt fettfreier Masse eine immer größere Bedeutung im Rahmen von Reduktionsmaßnahmen zuzukommen. In diesem Zusammenhang lohnt sich sicher ein Blick auf die Wahl der richtigen Diätform und hier auf den Ansatz von „High-Protein“ (27,28) sowie auf den Einsatz gezielter Nahrungsergänzungen wie er in einem weiteren Beitrag aus dem BLOG von Body-Coaches vorgestellt wird. Auch Krafttraining kommt eine tragende Rolle zu, mit der sich weiterführende Studien befassen sollten.
Der Erhalt fettfreier Masse bedeutet in Reduktionsphasen einerseits einen gewissen Mehrbedarf an Energie, auf der anderen Seite aber einen effektiven Weg zum dauerhaften Erhalt eines erreichten Gewichtsniveaus mit dem man leben kann und möchte
Adaptive Thermogenese
Im Rahmen von Reduktionsmaßnahen sollte man sich auch mit der „adaptiven Thermogenese“ auseinandersetzen. Die Universität Leipzig definiert sie als Energie für die Anpassung an veränderte Bedingungen wie beispielsweise Stress, intensive geistige Anforderungen, Temperaturveränderungen oder eben eine hypokalorische Ernährung (unter Bedarf). (6) Was das im Umkehrschluss für eine Reduktionsmaßnahme oder vielmehr für den Kalorienverbrauch bedeutet, zeigt dieses einfache Rechenbeispiel:
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Ein Kaloriendefizit von 700kcal/Tag sorgte bei Dulloo et al nach 8 Wochen Diät für eine Reduzierung des Grundumsatzes um 230 Kalorien/Tag bei Männern und 147 Kalorien/Tag bei Frauen (10).
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Für eine Woche sind dies bereits über 1600 Kalorien bei Männern und über 1000 Kalorien bei Frauen (10) und damit um Zahlen die durchaus ins Gewicht fallen.
Tremblay et al. (25) beobachteten einen starken positiven Zusammenhang zwischen adaptiver Thermogenese und Hunger (25), was das Durchhalten einer Reduktionsmaßnahme nochmals erschweren kann. Weigle und Kollegen (11,12) wiesen zudem nach, dass die adaptive Thermogenese auch den EAT beeinflusst und zu einer Abnahme des NEAT führt, die auch nach Beendigung der Reduktionsphase bestehen bleiben kann (14,15). Selbst beim thermischen Effekt der Nahrung deuten Untersuchungen an, dass sich die Größe bei gleicher Kalorienzahl im Rahmen einer hypokalorischen Ernährungssituation reduziert (52,53). Diesen Effekt vermag man mit einer hohen Proteinaufnahme entgegenwirken können, da von Protein ein größerer thermischer Effekt als von Kohlenhydraten oder Fett ausgeht (51). Für eine Reduktionsmaßnahme nicht gänzlich unbedeutend ist außerdem der (zumindest bis zu einer gewissen Aufnahmemenge) eintretende größere Sättigungseffekt von Protein verglichen mit den anderen beiden Makronährstoffen (50).
Die einzelnen Faktoren summieren sich und führten in einzelnen Untersuchungen bereits zu einer Absenkung des Energieverbrauchs um 40% mit hypokalorischer Ernährung (50% Defizit) bei gesunden Probanden (16).
Über die adaptive Thermogenese läßt sich der tatsächliche Kalorienverbrauch reduzieren. Dies bedeutet eine Verschiebung der Energiebilanz in Richtung eines sparenden Effekts
Hunger, Sättigung, Appetit
Wichtiger noch als alle Anpassungen im Rahmen der adaptiven Thermogenese erscheint die Veränderung des Appetitverhaltens als Faktor zur Beeinflussung der Energiebilanz und in diesem Zusammenhang die Körperzusammensetzung (47). Polidori et al. (48) beobachteten im Rahmen einer Reduktionsdiät die proportionale Zunahme des Appetits und damit einen Anstieg der aufgenommenen Kalorien bei ihren Probanden im Bereich von ~100 kcal/Tag pro Kilogramm abgenommenes Gewicht. Dies entspricht mehr als der 3-fachen Menge an Kalorien wie sie über Anpassungen des Energieverbrauchs pro Tag stattfinden (48).
Diese Faktoren beeinflussen die Steuerung von Hunger und Sättigung (30,36,41,43):
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Ernährungsverhalten
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Ruheumsatz
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Anteil fettfreier Masse
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Energetischer Bedarf von stoffwechselaktivem Gewebe
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Anzahl an Stoffwechselprozessen
Auch eine deutliche Gewichtsabnahme ist assoziiert mit der Abnahme des Energieverbrauchs und einer Zunahme des Appetits (40). Hierbei spielt Leptin als starker Sättigungsbotenstoff eine entscheidende Rolle. Einzeluntersuchungen beschäftigen sich zudem mit dem Einfluss auf bestimmte Darmpeptide, kommen hier jedoch noch zu unterschiedlichen Ergebnissen (44-47).
Eine Gewichtsabnahme fördert die Bildung Appetit anregender Hormone und hemmt im gleichen Zuge die Bildung sättigender Signalgeber (37). Diese Konstellation kann für Abnehmwillige eine enorme Hürde darstellen!
Resümee
Eine Reduktionsphase ist keinesfalls ein linearer Prozess der sich stur über Energieverbrauch sowie Energieaufnahme und das raus resultierende Defizit steuern lässt. Wenn es so einfach wäre, läge die Quote erfolgreicher Reduktionsdiäten ebenso um ein Vielfaches höher wie die Anzahl derer, die einen erreichten Gewichtsverlust dauerhaft halten können. Wenn die Logik der Energiebilanz nicht mehr greift, müssen noch andere Gegebenheiten am Werk sein, die Abnehmwilligen Probleme bereiten. Diese finden sich einerseits in verringertem Energieaufwand (adaptive Thermogenese), aber auch in einem unausgeglichenen Verhältnis der Steuerung von Hunger und Sättigung. Große Bedeutung kommt in Reduktionsphasen der Erhalt an fettfreier Masse zu. Als stoffwechselaktives Gewebe erhöht sie zwar der Energiebedarf, gilt aber für unseren Körper auch als Kenngröße der Energiebilanz und hilft dabei, einmal abgenommenes Gewicht dauerhaft fern zu halten.
Wie dies am besten gelingt wird weiterführend HIER beschrieben.
Sportliche Grüße
Holger und Daniel
www.Body-Coaches.de
Quellen
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https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/oby.21653
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https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/18268511
(6) https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0303720715300800?via%3Dihub
(7) http://www.unileipzig.de/~iom/muehlleithen/2012/Sport_und_Ernaehrung_Frost_03_2012.pdf
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https://ajph.aphapublications.org/doi/10.2105/AJPH.41.2.236-b
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https://linkinghub.elsevier.com/retrieve/pii/S0026049507003241
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https://jissn.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12970-017-0177-8
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https://app.dimensions.ai/details/publication/pub.1083859657
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https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/27804272