3g Leucin pro Mahlzeit?! Eine der größten „NACHPLAPPERWEISHEITEN“ ist es zu behaupten, die Literatur bestätige, eine Mahlzeit müsse für optimale Effekte auf die Muskelproteinsynthese 3g Leucin enthalten.
Basiert eine solche Behauptung auf wissenschaftlich haltbaren Daten?
Die Leucin-Trigger-Hypothese
Zaromskyte et al (6) stellten in deren Review die Leucin-Trigger-Hypothese vor. Diese wurde ursprünglich entwickelt, um die unterschiedlichen postprandialen Muskelproteinsynteseraten als Reaktion auf isolierte Proteinquellen nach dem Training bei gesunden, jungen Männern zu bewerten und wurde dann ausgeweitet.
In die Arbeit waren insgesamt 31 Untersuchungen involviert. 16 dieser Studien sprachen sich für Leucin als Regulator der Muskelproteinsynthese aus. 15 der Studien sprachen sich gegen die Behauptung aus, dass ein schnelleres Auftreten (in Ausmaß und Dauer) von Leucin im Blutkreislauf stimulierend für die Erhöhung der postprandialen Muskelproteinsyntheserate wirkt.
Die Forscher machen mehrere Schlüsselfaktoren für die ausgewerteten Diskrepanzen verantwortlich. Einige davon werden weiter erörtert.
Alter
13 der 16 befürwortenden Studien zu einer Leucin-Trigger-Hypothese wurden an älteren Probanden durchgeführt. Lediglich drei Studien an jüngeren Probanden sprechen sich für eine Leucin-Trigger-Hypothese aus, während sieben Studien diese widerlegen. In diesem Kontext wurde auch eine Studie (7) zitiert, die mit einer Wheyprotein-Ergänzung und einem Gesamt-Leucin-Gehalt von 3g eine maximierte Muskelproteinsynthese vorschlägt, allerdings an älteren Männern, teilweise gesund und teilweise betroffen von Sarkopenie. Für jüngere Personen scheint die absolute Verfügbarkeit von Leucin im Blut eine weniger bedeutende Rolle zu spielen, solange eine ausreichende Menge an Gesamtprotein von hoher Qualität verabreicht wird (8,9).
Passend dazu zitieren Paddon-Jones & van Loon (1) 2012 die ersten Studien, die davon ausgehen das 7g EAA mit 26% Leucin-Gehalt (1,7g) die Muskelproteinsynthese bei jungen Männern auf dieselbe Art anregen wie 7g EAA mit 41% Leucin-Gehalt (2,79g) bei älteren Männern. 2,79g Leucin in einer isokalorischen Proteinquelle stimulieren die Muskelproteinsynthese bei älteren Männern stärker, als wenn diese nur 1,75g Leucin enthält.
Auch Phillips (17) sieht Unterschiede in der Leucin-Schwelle in Bezug auf das Alter. Seinen Ausführungen zur Folge, benötigen ältere Menschen sowohl in Ruhe als auch unter Belastung mehr Leucin, um die Muskelproteinsynthese maximal zu stimulieren. Dieser Zielgruppe rät er darum zu einer höheren Verabreichung pro Gabe, ohne jedoch eine konkrete Mengenangabe zu definieren.
Training
Bewertet man die Leucin-Trigger-Hypothese spezifisch nach dem Training unterstützen 53% der Studien diese unabhängig vom Alter. Bezieht man wiederum das Alter mit ein, überwiegt wieder der Anteil an Untersuchungen die einen Effekt für ältere Trainierende sehen (73% der Studien) gegenüber denen, für jüngere Trainierende (lediglich 25% der Studien).
Interessant ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass Studien wie die von Katsanos et al (15) und Glover et al (16) die Höhe der Leucin-Schwelle neben dem Alter auch vom Grad der körperlichen Aktivität abhängig machen. Während körperliche Bewegung die Leucin-Schwelle abzusenken scheint (ergo man benötigt weniger), sorgen biologisches Altern und Inaktivität für deren Anhebung (ergo man benötigt mehr).
Da man unterschiedliche Akutbestimmungen in der Muskelproteinsynthese-Reaktion auch zwischen Trainierten und Untrainierten feststellt, besteht die bis dato nicht klar belegte Vermutung, dass die Leucin-Trigger-Hypothese bei trainierten Personen relevanter sein könnte als bei Untrainierten (10).
Art und Quelle des eingenommenen Proteins
Dass es neben dem Leucin-Gehalt einer Proteingabe weitere relevante Variablen in Hinblick auf die Stimulierung der Muskelproteinsynthese geben muss, zeigt eindrucksvoll eine Studie von Tang et al (14). In dieser bekamen junge Probanden drei unterschiedliche isolierte Proteingaben aus Whey, Casein oder Sojaprotein mit einer standardisierten EAA-Menge von 10g pro Portion verabreicht. Der Leucin-Gehalt betrug 2,3g für Whey, 1,8g für Casein und 1,8g für Soja. Trotz vergleichbarer bis gleicher Leucin-Mengen, zeigte sich eine unterschiedliche Auswirkung auf die Muskelproteinsynthese.
Wissenschaftliche Diskrepanz besteht zudem in der Bewertung nicht isolierter Proteinquellen, ergo natürlicher proteinhaltiger Lebensmittel und deren klarer Bezug des Leucin-Gehalts pro Gabe zum Einfluss auf die Muskelproteinsynthese. So gibt es beispielsweise Daten (11) die Vollei und Hühnereiweiß mit ähnlichem Leucin-Profil in Hinblick auf die Muskelproteinsynthesereaktion vergleichen und bei Vollei höhere Werte feststellen. Ähnlich wurde dies auch bei unterschiedlichen Darreichungsformen für Milch festgestellt (12).
Man geht davon aus, dass die gesamte Matrix eines Lebensmittels merklichen Einfluss auf die Ausprägung der Muskelproteinsynthese ausübt (13).
Fazit
Wenn man den genauen Leucin-Gehalt einer Proteingabe für maximierte Muskelproteinsynthese diskutiert ist es wichtig grundlegend zu klären, inwieweit das gesamte Modell überhaupt belastbar ist. Hier zeigt sich eine gewisse Relevanz vornehmlich bei älteren Personen und weit weniger eindeutig für jüngere Personen. Während eine gewisse Relevanz mit Verabreichung isolierter Proteingaben bestehen kann, gilt dies nicht in ähnlicher Art und Weise für die Verabreichung von Proteinen im Rahmen vollständiger Lebensmittel.
Woher stammt die Aussage 3g Leucin pro Mahlzeit?!
Laine Norton (3) stellt folgende These auf:
„Consuming multiple meals per day containing 3g of leucine may be beneficial in maximizing MPS. – Several studies have demonstrated that orally administering an essential amino acid (eaa ) solution containing approximately ~3-4g of leucine will maximize postprandial skeletal mps. – Therefore, it is likely that 3g (or ~0.05g/kg/bodyweight) of leucine is sufficient to maximize the anabolic response of a meal.“
Haltbare Aussagen?
1.
Zur Untermauerung seiner Leucin-Aussage führt Norton eine Studie von Paddon-Jones (4) an, in der die Reaktion einer Aminosäureverabreichung (15g EAA gesamt) auf die Muskelproteinsynthese bei älteren und jüngeren Probanden untersucht wurde. Der Leucin-Gehalt des Getränks betrug 2,79g. Die Studie zeigt Unterschiede in der Reaktion auf die Verabreichung, allerdings in beiden Gruppen Anstiege der Muskelproteinsynthese, wobei die Reaktion bei jüngeren Probanden stärker ausfiel als bei den älteren Probanden.
Inwieweit 3g Leucin (oder 2,79g Leucin) notwendig waren, um bei jüngeren Probanden die Muskelproteinsynthese maximal zu stimulieren ließ sich aus dieser Studie nicht ableiten.
2.
Die zweite zitierte Studie stammt von Tipton et al (5). Hier nahmen 6 junge, gesunde Probanden Placebo kontrolliert entweder 40g gemischte Aminosäuren (Leucin-Gehalt 4,4g) oder 40g essenzielle Aminosäuren (Leucin-Gehalt 8,3g) zu sich. Untersucht wurde die Gesamtreaktion auf den Muskelproteinstoffwechsel nach einem Krafttraining.
Gezeigt wurde:
- dass nicht essenzielle Aminosäuren für die Beeinflussung des Proteinstoffwechsels keinen direkten Nutzen erfüllen
- dass 40g EAA nicht notwendig sind, um den Muskelproteinstoffwechsel insgesamt positiv zu beeinflussen
- dass es keinen signifikanten Unterschied macht, ob die Aminosäuremischung 4g oder 8g Leucin enthält.
Nebst der Tatsache das eine Verabreichung von 40g essenziellen Aminosäuren im Rahmen einer einmaligen Gabe sehr praxisfern erscheint, fehlt auch in dieser Studie ein direkter Hinweis darauf, dass 3g Leucin notwendig waren, um die Effekte auf den Muskelproteinstoffwechsel zu maximieren.
3.
Neben der Aussage zur Verwendung von 3g Leucin pro Gabe zur Maximierung der Muskelproteinsynthese wurde bei Norton (3) eine weitere Orientierungsgröße definiert. Diese sieht eine Menge von 0,05g Leucin pro Kilogramm Körpergewicht und Mahlzeit vor. Demnach würde sich eine Vorgabe bei Leucin mit steigendem Körpergewicht wie folgt darstellen:
3-4g Leucin pro Mahlzeit entsprächen bei dieser Rechnung dem Gewichtsbereich von 60 bis 80kg. Darüber und darunter müsste man von anderen Werten ausgehen. Eine Unterscheidung zwischen einem jungen und einem älteren Trainierenden trifft Norton nicht.
4.
Gegen eine 3g Leucin-Schwelle in einem vollständigen, natürlichen Protein spricht die Studie von Symons et al (2). Junge und ältere Probanden erhielten hier entweder 113g (30g Protein, ca. 2g Leucin) oder 340g (90g Protein, ca.6g Leucin) mageres Rindfleisch. Wie sich zeigte, sorgte sowohl die kleinere als auch die größere Portion für einen signifikanten Anstieg der Muskelproteinsynthese. Eine erhöhte Aufnahme über 113g Rindfleisch bzw. über 2g Leucin hinaus, führte hier nicht zu einer nochmals signifikanten Anhebung der Proteinsynthese-Reaktion.
Fazit
Norton formuliert 3g Leucin pro Gabe zur Maximierung der Muskelproteinsynthese. Da der notwendige Background, der einen solchen Wert klar begründen würde fehlt und da er auch ein körpergewichtsbezogenes Modell der Leucin-Bestimmung vorstellt, darf man davon ausgehen, dass die „3g Leucin“ Vorgabe mehr als grobe Richtlinie und weniger als feststehender Wert zu verstehen ist.
3g Leucin pro Mahlzeit?!
Resümee
Die Leucin-Trigger-Hypothese steht als allgemein gültige Aussage auf einem wackeligen Studiengerüst. Soll nicht heißen, dass Leucin per se nicht eine wichtige Aminosäure wäre, aber speziell für junge Menschen stellt der reine Leucin-Gehalt im Rahmen einer hochwertigen Quelle weder das einzige, noch das wichtigste Kriterium zur Bewertung einer Proteingabe dar. Für älteren Menschen ist ein gewisser Mehrbedarf an Leucin und folglich eine etwas höher anzusetzende Leucin-Schwelle wahrscheinlicher, d.h. diese Personengruppe sollte sich mit dem tatsächlichen Leucin-Gehalt der einzelnen Proteingaben, speziell bei isolierten Proteinen, auseinandersetzen.
Die „ 3g Leucin pro Mahlzeit?! “ Aussage ist wissenschaftlich nirgends schlüssig hinterlegt, nicht klar begründet und auch nicht verallgemeinernd gültig!
Insgesamt zeigt diese Bestandsaufnahme wieder einmal, dass es Sinn macht, jede noch so in Stein gemeißelte Regel zu hinterfragen. Des Weiteren zeigt sich, dass es neben dem reinen Gehalt an Leucin noch eine Menge anderer Faktoren gibt, die sich auf das Gefüge des Muskelproteinstoffwechsels auswirken.
BLEIBT KRITISCH UND WACHSAM
Euer
Holger Gugg
—
Quellen
(1)
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/9781118338032.ch19
(2)
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3197704/
(3)
(4)
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/14583440/
(5)
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/10198297/
(6)
https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fnut.2021.685165/full
(7)
https://www.clinicalnutritionjournal.com/article/S0261-5614(16)31263-8/fulltext
(8)
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/jsfa.8997
(9)
https://academic.oup.com/ajcn/article/106/6/1401/4823156
(10)
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/27219125/
(11)
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/jsfa.8997
(12)
(13)
https://link.springer.com/article/10.1007/s40279-018-1009-y
(14)
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/19589961/
(15)
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/16507602/
(16)
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/18955382/
(17)
https://nutritionandmetabolism.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12986-016-0124-8
2 Kommentare
Ich mag deine Aufklärung. Finde es total interessant. Wirft mir aber noch mehr Fragen auf. Am Anfang wird nur von Männern geredet . Was ist den Frauen ? Dann jünger und älter ab wann gilt jünger und älter? Da es sowieso nicht bewiesen ist werden wir das wohl fürs erste nicht erfahren. Vielen Dank das du dir immer diese Arbeit machst.
Vielen Dank Sandra. LEIDER beschränkt sich ein Großteil der Literatur zu diesem Thema auf Männer. Frauen haben aktuell in der Wissenschaft häufig noch das Nachsehen, man kann nur hoffen das diese Lücken nach und nach behoben werden. Wann du von jung zu alt wechselst ist einerseits natürlich nicht festgeschrieben. Es lässt sich aber sehr wohl über einige Marker individuell bestimmen oder zumindest erahnen wann für dich Ansätze für Best-Ager gelten sollten und wie lange du noch zu den „Jungen“ zählst 🙂 Wenn dich so etwas näher interessiert fühle dich eingeladen dich bei mir zu melden.