Ist Liposomal besser? Liposomen sind Vesikel, die hochkomplexe Zellmembranen imitieren. Sie bestehen aus biokompatiblem, biologisch abbaubarem Material, bei dem ein wässriges Volumen von einer oder mehrerer Doppelschichten aus natürlichen oder synthetischen Lipiden eingeschlossen ist.
Wegen ihrer hydrophilen und hydrophoben Eigenschaften werden Liposomen zur Verkapselung von Medikamenten und Nährstoffen eingesetzt, um die Aufnahme, Abgabe und Bioverfügbarkeit im Darm zu fördern. Die Verkapselung mit Liposomen bildet eine Schutzbarriere um den Wirkstoff und erhöht so die Resistenz gegenüber Verdauungsenzymen, Säure, Darmbakterien sowie Oxidation. Auch soll der Verdauungstrakt vor möglichen Irritationen durch den Nährstoff zu geschützt werden und es soll möglich sein, einen Wirkstoff gezielt zur Zieldrüse, zum Zielgewebe oder zum Zielsystem zu transportieren.
SO DIE THEORIE
Liposomal in der Praxis
Inwieweit die theoretischen Vorteile einer liposomalen Verabreichung einen praktischen Nutzen erfüllen, indem sie die Bioverfügbarkeit von Vitaminen oder Mineralstoffen in einer Nahrungsergänzung verbessern, wurde erst in sehr wenigen Studien untersucht. Vieles davon im Zellversuch (3,9), im Tiermodell (8,9,11) mit nur sehr wenigen Probanden (4,7) oder aber mit sehr hohen Dosierungen wie sie in der nicht therapeutischen Praxis nicht vorkommen.
- Bei Davis et al (5) wurden 4g Vitamin C oral und intravenös verabreicht mit dem Ergebnis, dass sich oral liposomal eine Bioverfügbarkeit ergab, die der einer normal oralen, nicht jedoch einer intravenösen Verabreichung überlegen war (5).
- In einer „üblichen“ Menge (1000mg) und verglichen mit normaler Verabreichung untersuchten Gopi & Balakrishnan (6) eine liposomalen Verabreichung von Vitamin C an gesunden erwachsenen Probanden unter Nüchtern-Bedingungen und stellten eine 1,77-fach verbesserte Bioverfügbarkeit fest.
- Tinsley und Kollegen (1) berichteten, dass die Einnahme eines mit Liposomen verkapselten Nährstoffpräparates die Eisenabsorption (50%), nicht aber die Magnesiumabsorption im Vergleich zur Einnahme eines Standard-Nährstoffpräparats verbessert.
Studie mit liposomalem Multivitamin
Vorstellung
In einer neuen randomisierten und ausgewogenen Doppelblindstudie (2) fasteten 34 gesunde Männer und Frauen 12 Stunden lang. Anschließend nahmen sie eine nicht-liposomale (NL) oder liposomale (L) Multivitaminergänzung und einen standardisierten Snack zu sich. Venöse Blutproben wurden 0, 2, 4 und 6 Stunden nach der Multivitamin-Einnahme entnommen. Hauptsächlicher Untersuchungsgegenstand der Studie waren die Veränderungen der Vitamin- und Mineralstoffkonzentrationen im Plasma sowie berechnete pharmakokinetische Variablen.
Die Pharmakokinetik beschreibt die Gesamtheit aller Prozesse, denen ein Arzneistoff im Körper unterliegt. Hierzu zählen die Aufnahme, die Verteilung im Körper, der biochemische Umbau und Abbau sowie die Ausscheidung.
In dieser Studie führte die Einnahme der liposomalen Ergänzung zu einer Veränderung der pharmakokinetischen Profile bemessen über das Vorkommen und die Verweildauer im Blut binnen 6 Stunden nach der Aufnahme.
Bewertung der Ergebnisse
Die gezeigten Unterschiede des Vitamin- und Mineralstoffgehalts im Blut deuten darauf hin, dass sich die Absorptionsraten mit liposomaler Verabreichung verändern. Höhere Spiegel könnten bedeuten, dass die Quelle nicht so schnell in das Gewebe aufgenommen wird, während niedrigere Werte bedeuten könnten, dass weniger im Blut auftaucht, weil die Aufnahme ins Gewebe schneller erfolgt. Denkbar ist also eine größere Zell- oder Gewebeaufnahme. Vorstellbar ist aber auch eine vermehrte Ausscheidung der Substanzen über den Urin oder den Stuhl.
Um die exakte Bioverfügbarkeit eines Nährstoffs zu bestimmen, müssten Unterschiede zwischen dem arteriellem (an das Gewebe abgegebene) und venösem (im Blut zurückbleibende Menge) Gehalt sowie die Gewebskonzentrationen bestimmt werden. Entscheidend ist, ob und in welchem Ausmaß die Zielgewebe eines Vitamins oder Mineralstoffs dieses/n in physiologisch sinnvollen Mengen aufnehmen, um den Status zu verändern und um weiterführend eine gewünschte Funktion zu erfüllen. Dieser Beweis wurde bis dato nicht erbracht, weshalb basierend auf den verfügbaren Informationen keine klare Überlegenheit einer liposomalen Verabreichung von Vitaminen oder Mineralstoffen abgeleitet werden kann.
Studien, die bis heute mit liposomalen Verabreichungen von Vitaminen und Mineralastoffen durchgeführt wurden, zeigen in nicht allen aber etlichen Fällen durchaus Veränderungen der Aufnahmeeigenschaften. Angesichts der Merkmale eines Liposom als Träger erscheint dies nicht weiter verwunderlich und macht das gesamte Thema potenziell interessant. Insgesamt ist der Studienfundus jedoch noch klein, heterogen und nicht ausreichend, um sich rein aus funktionellen Gesichtspunkten für Mikronährstoffergänzungen in liposomaler Form zu entscheiden.
Hoher Preis und „Echtheitsrisiko“
Wer trotz der bestehenden Unklarheit zu Vorteilen dennoch auf eine liposomale Verabreichung von Mikronährstoffen setzen möchte, sieht sich weiterführend mit zwei weiteren, nicht irrelevanten Gegebenheiten konfrontiert.
Da wäre zum einen der Preis. Am Beispiel eines gängigen Vitamin C Präparats und eines liposomalen Vitamin Präparates ein und desselben Herstellers werden die preislichen Unterschiede ersichtlich.
- 100g Ascorbinsäure kosten 6,30 Euro
- 100g liposomale Ascorbinsäure kosten 20,83 Euro
Aus Herstellerkreisen erfährt man, dass zwischen den Einstandskosten gängigen Rohstoffe für Mikronährstoffe und nachweislich echter liposomaler Darreichungsform unglaubliche Unterschiede bestehen, die eine Kalkulation selbst zu oben genannten Preisunterschieden schwierig machen. Bei liposomalen Darreichungen muss man zudem von einer geringeren Reinheit im Sinne des Anteiles an tatsächlich gewünschter Substanz pro Einheit ausgegangen werden.
Dies bringt und zum nächsten Problem, nämlich der Echtheit. Liposomale Produkte sind auf dem Markt auch günstiger erhältlich, allerdings kann man davon ausgehen, dass diese entweder gefälscht oder von schlechter Qualität sind. So weiß man von Firmen die nachweislich nicht liposomale Produkte als liposomal verkauft haben und deswegen vor Gericht mussten. Man weiß von Anbietern, die einfache Phospholipide mit Vitaminmischungen kombinieren und dies als liposomal verkaufen. Auch Vitamine mit MCT werden als „liposomal“ verkauft, obwohl man weiß, dass man die theoretischen Vorteile von Liposomen nicht auf MCT übertragen kann (10).
Als Endverbraucher ist es schier unmöglich festzustellen, ob man tatsächlich ein liposomales Produkt erstanden hat. Man bräuchte ein mikroskopisches Bild, das die kernartige Struktur und das charakteristische Liposom-Muster aufzeigt (6). Außerdem sollte ein Test zur Verkapselungseffizienz vorliegen.
Liposomale Darreichungsformen kosten richtig Geld! Die Echtheit liposomaler Angebote ist für den Endverbraucher nur sehr schwer zu bestimmen. Vorsicht ist geboten vor diversen Fälschungen und Produkten von mangelhafter Qualität.
Wer liposomale Produkte kauft, sollte sich ein klares Bild vom Hersteller verschaffen und sich entsprechende Nachweise über die Eigenschaften von Liposomen vorlegen lassen. Ob er sich damit insgesamt einen Gefallen tut, oder lediglich einer theoretisch interessanten Idee hinterhereifert lässt sich Stand heute nicht klar sagen.
Gesunde Grüße
Holger Gugg
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Quellen
(1)
https://www.mdpi.com/2072-6643/14/16/3321
(2)
https://www.mdpi.com/2072-6643/15/13/3073
(3)
https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/08982104.2019.1630642
(4)
https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/13590840802305423
(5)
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4915787/
(6)
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32901526/
(7)
https://doi.org/10.1166/jbn.2022.3274
(8)
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/19298690/
(9)
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30187807/
(10)
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34960106/
(11)